Meinungen sind wie A****löcher - Zur Rolle von Strafverteidiger und Staatsanwaltschaft

Wie kann man so einen nur verteidigen? Wie können Sie nachts noch ruhig schlafen? Schämen Sie sich! Der gehört weggesperrt! Für so etwas braucht man doch kein Gericht!

 

Diesen und anderen Fragen und Aussprüchen sind Strafverteidiger des Öfteren ausgesetzt.

 

Insbesondere in vermeintlich oder tatsächlich "politischen" Prozessen spielen auch Behauptungen und Wertungen der Medien eine nicht zu unterschätzende Rolle indem ein falsches und rechtlich nicht zu begründendes Wesen der Strafverteidigung gezeichnet wird.

 

Beispielhaft ist der Ausspruch Alice Schwarzers in ihrer Berichterstattung über das Strafverfahren gegen den Wettermoderator Jörg Kachelmann in der Bild-Zeitung.

 

Dort schrieb sie neben anderen Grobheiten und Unwahrheiten, die nicht nur nach Ansicht des Autors "weit unter ihrem Niveau liegen" (Schirach, Die Würde ist antastbar - Essays, 2014) das Folgende:

 

"Auch für einen Anwalt ist es gemeinhin keineswegs entscheidend, ob der Angeklagte nun in Wahrheit schuldig oder unschuldig ist. Entscheidend ist, dass er seinen Mandanten raushaut, mit allen Mitteln. Dafür wird er schließlich auch bezahlt."

 

So polemisch, ja reißerisch diese Aussage ist, enthält sie doch auch etwas Wahres.

 

Franz von Liszt (Vortrag bei dem Berliner Anwaltsverein, abgedruckt in DJZ 1901, 179ff oder Berliner Anwaltsblatt 2001, 159ff.) hat zu der Frage ob ein Verteidiger seine Verteidigung davon abhängig machen kann oder darf ob er einen Beschuldigten für schuldig hält eine kurze aber deutliche Antwort, der sich auch der Autor uneingeschränkt anschließt: Nein, selbstverständlich nicht. Gleiches gilt auch für die Frage ob ein Verteidiger ihm bekanntes belastendes Material verschweigen darf. Selbstverständlich darf er dies, er muss es sogar (zustimmend auch: Jungfer, Strafverteidigung - Annäherung an einen Beruf, 2016, S. 45).

 

"Der Verteidiger hat die Interessen des Beschuldigten auch wirklich wahrzunehmen. Das heißt, die Verteidigertätigkeit geht über die bloße Abwehr (... von Vorwürfen...) hinaus."

 

(Jungfer, der insoweit von Liszt zitiert, aaO)

 

Versteht man den Strafprozess, anders als viele Richter und Staatsanwälte, richtigerweise als Parteiprozess, definiert sich auch die Rolle und die Notwendigkeit offensiver Strafverteidigung recht einfach. Bereits von Liszt war ein Anhänger dieser Ansicht die auch vom Autor vertreten wird.

 

Der Verteidiger ist nur seinem Mandanten, dem Beschuldigten verpflichtet, er hat in den Grenzen der Strafprozessordnung alles zu unternehmen um die Rechte seines Mandanten zu bewahren und ihn gegen die erhobenen Vorwürfe zu verteidigen.

 

Hieraus ergibt sich auch die Falschheit des obigen Schwarzer Zitats. Es geht keineswegs darum den Beschuldigten "mit allen Mitteln rauszuhauen". Auch der Strafverteidiger kann sich einer Strafvereitelung nach § 258 StGB strafbar machen.

Die "objektivste Behörde der Welt" - Die Rolle der Staatsanwaltschaft

Referendaren und Studenten wird gern der Mythos vermittelt, die Staatsanwaltschaft sei die "objektivste Behörde der Welt". Auch der Autor musste sich Derartiges während seiner Ausbildung anhören.

 

Und ja, dem ist zuzugeben, dass die oberflächliche Betrachtung der Strafprozessordnung und des in ihr verhafteten Legalitätsprinzips diesen Mythos zunächst zu bestätigen scheint. Die Staatsanwaltschaft ist gemäß § 160 Abs. 2 StPO verpflichtet nicht nur belastende, sondern auch entlastende Umstände zu ermitteln.

 

Dies widerspricht jedoch der obigen These vom strafrechtlichen Parteiprozess. Ein weiteres Argument gegen diese ist auch der Umstand, dass nach § 244 Abs. 2, § 245 Abs. 1 StPO das Gericht zu einer umfassenden Sachverhaltsaufklärung verpflichtet ist und es damit einer Amtsermittlungspflicht trifft.

 

Dennoch ist die Staatsanwaltschaft keinesfalls die objektivste Behörde, sie ist Anklagebehörde. Schon der Umstand, dass ein hinreichender Tatverdacht ausreicht um Anklage zu erheben, bestätigt dies. Dabei sei angemerkt, dass auch einige Richter dazu neigen, die Beweisaufnahme nur auf Belastendes beschränken und jeder Erweiterung des Prozessstoffes (z.B. weitere Zeugen) ausnehmend kritisch gegenüber stehen.

 

Des Weiteren muss, wie Müller (Rechtsstaat und Strafverfahren, 1980, S. 203) so treffend ausführt, jede Behörde objektiv sein. Jede Behörde muss vor jeder Entscheidung das Vorliegen oder eben Nichtvorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ihres Handelns prüfen und demnach anhand der objektiv vorliegenden Umstände entscheiden.

 

Schön illustriert dies auch Jungfer (aaO), der schreibt:

 

"Ich kann einen Fischereischein nicht erstellen, wenn ich nicht die Tatsachen ermittele, ob ich ihn ausgeben kann oder nicht."

 

Demnach müsste gelten, was von Schirach von einem unbenannten Oberstaatsanwalt zitiert:

 

"Die Staatsanwaltschaft gewinnt nicht und sie verliert nicht. Sie dient dem Recht, das ist auch schon alles."

 

(Ferdinand von Schirach, aaO, S. 88)

 

Die Praxis sieht anders aus. Schon Referendaren wird beigebracht im Zweifel anzuklagen oder eine hohe Strafe zu beantragen. Sei sie nun gerechtfertigt oder nicht. Die Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen tritt nur allzu oft hinter dem stupiden, und vor allen Dingen möglichst schnellen Abarbeiten von Fällen zurück.

Der Versuch eines persönliches Fazit

Der Autor ist der festen Überzeugung, dass jede Person der ein straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlicher Vorwurf gemacht wird, Verteidigung und rechtlichen Beistand verdient. Dies gilt völlig unabhängig von der Frage ob eine Person die ihr vorgeworfene Straftat begangen hat oder ob die Tat von der Gesellschaft nun als "Kavaliersdelikt" oder als "abscheulich" angesehen wird.

 

Dabei ist insbesondere an die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 MRK) zu erinnern, die in der der heutigen Medienlandschaft und insbesondere in den (a)sozialen Medien keine Rolle mehr zu spielen scheint.

 

Sie zu betonen und die weiteren Prozessbeteiligten zu ihrer Einhaltung anzuhalten ist eine der wesentlichen Aufgaben.

 

Dabei dürfen weder die öffentliche Meinung noch die Interessen der Strafverfolgungsbehörden oder Gerichte eine Rolle spielen.

 

Nur wenn alle Verfahrensbeteiligten ihre Aufgaben nach Recht und Gesetz wahrnehmen, kann das System funktionieren.

 

Demnach gilt:

 

Konsequent. Strafverteidigung.

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