Wie erkenne ich eine Lüge? - Zur Glaubhaftigkeit von Aussagen

Die Frage ob ein Zeuge oder anderer Verfahrensbeteiligter die Wahrheit sagt ist nicht leicht zu beurteilen. Zu vielfältig sind die zu gewichtenden Parameter und Umstände.

 

Schon das Alter (wobei bereits umstritten ist, ab welchem Alter Kinder in der Lage sind sich zu erinnern bzw. Erinnerungen wiederzugeben, siehe nur: Steller in Steller/Volbert, Psychologie im Strafverfahren, s. 40), der Bildungsstand und auch der Ort und die Zeit der Vernehmung können bei der Beantwortung dieser Frage eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen. All dies in nur einem Beitrag "abzuarbeiten" ist schier unmöglich. Deshalb soll im Folgenden nur ganz allgemein auf die zu berücksichtigenden Umstände eingegangen werden.

Wahrheit und Lüge

Zunächst stellt sich selbstverständlich die Frage was unter den Begriffen Wahrheit und Lüge überhaupt zu verstehen ist.

 

Es sollte klar sein, dass mit Wahrheit im Sinne der Aussagepsychologie nie die objektive sondern nur die subjektive Wahrheit gemeint sein kann. Allein auf diese kann auch die Belehrung des Zeugen im Strafprozess gerichtet sein (§ 57 Satz 1 StPO; so auch: Wendler/Hoffmann, Technik und Taktik der Befragung, 2. Auflage 2015, s. 77). In der Folge geht es bei der Frage nach der Wahrheit in diesem Zusammenhang nur darum, ob der Zeuge etwas wiedergibt was er nicht erinnert, also aus seiner subjektiven Sicht falsch aussagt.

 

Dennoch ist natürlich auch die -unbewusst- falsche Aussage sehr gefährlich, so dass es in der Folge gilt, die Aussage darauf zu überprüfen, ob der Zeuge unbewusst falsch ausgesagt hat.

 

Unbewusst falsche Aussagen können unterschiedliche Ursachen haben. Begründen lassen sich derartige Angaben dadurch, dass ein Zeuge nicht wie eine "Filmkamera" funktioniert (so z.B. Wendler/Hoffmann, aaO, S. 140). Dies hängt ganz wesentlich mit der Funktionsweise des Gehirns zusammen, das nicht einfach abspeichert und unverfälscht wiedergibt sondern Erinnerungen verknüpft und mit anderen Eindrücken, Erlebnissen und Erfahrungen vermischt. Dabei werden auch Wahrnehmungslücken z.B. durch unbewusste Assoziation mit anderen Sachverhalten, gefüllt.

 

Voraussetzung einer irrtumsfreien Aussage ist deshalb, dass der Zeuge den Sachverhalt zu dem er berichten soll richtig und vollständig wahrgenommen hat und sich daran richtig und vollständig erinnert.

Von Realkennzeichen und Fehlerquellen

Nur wer sich die vorstehenden Gegebenheiten bewusst macht, kann sich dem Thema Aussageanalyse auch nur nähern. 

 

In einem ersten Schritt ist also festzustellen, ob der Aussagende überhaupt die -subjektive- Wahrheit sagt. Erst in einem zweiten Schritt müssen die Angaben dann auf Irrtümer i.E. auf ihre Zuverlässigkeit hin geprüft werden.

 

Dies führt zu einem der verbreitetsten Fehler bei der Beurteilung von Zeugenaussagen. 

 

Der Zeuge muss eine Leistung erbringen. Anders als so häufig vor Gericht anzutreffen, reicht es nicht aus das Beweisthema zu bestätigen oder eben nicht zu bestätigen. Der Zeuge muss das Gericht von seiner Aussage überzeugen. Demnach ist nicht nach Anzeichen für eine Lüge, sondern nach Anzeichen für die Wahrheit zu suchen. Es gilt der Grundsatz:

 

"Die Aussage ist unrichtig, sie beruht nicht auf tatsächlich Erlebtem."

 

Dieser als Nullhypothese bekannter Grundsatz, ist auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (erstmals: BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 – 1 StR 618/98 –, BGHSt 45, 164-182) Grundlage jeder sinnvollen Aussageanalyse.

 

Demnach ist eine Aussage darauf hin zu überprüfen, ob sie diese Nullhypothese zu widerlegen vermag. Dies ist (nach Jansen, Zeuge und Aussagepsychologie, 2. Auflage 2012, S. 168) dann der Fall, wenn 

 

1. die Aussage hinreichend qualitative Realkennzeichen enthält

 

und

 

2. andere Erklärungen als das eigene Erleben als nicht plausibel widerlegt wurden.

 

Realkennzeichen sind, wie der Bundesgerichtshof es ausdrückte (Urteil vom 03.11.1987 - VI ZR 95/87, zitiert nach NJW 1988, 566) "Wahrhaftigkeitskriterien". Im Wesentlichen beziehen sie sich auf den Inhalt der jeweiligen Aussage wobei zum Teil auch ein Bezug zur Präsentation bei der Aussage besteht. Dazu einige Beispiele:

  • Detailreichtum: Voraussetzung für Glaubhaftigkeit ist eine detaillierte Schilderung der Geschehnisse, wenngleich dieses Merkmal oftmals falsch interpretiert wird. Nur allzu oft werden "Schein-Details" zur Begründung der Glaubhaftigkeit einer Aussage herangezogen (nach Wendler/Hoffmann, aaO: "ein leckeres Frühstück").  Hinzukommt, dass auch ein Detailreichtum in einer Aussage dazu gegen eine Glaubhaftigkeit sprechen kann sind z.B. die erinnerten Details erinnerungspsychologisch nicht zu rechtfertigen (Beispiel:  Zeuge erinnert sich nach mehreren Jahren noch genau an den immer gleichen Weg zur Arbeit am konkreten Ereignistag ohne das es hierfür eine plausible Begründung gibt).
  • Komplikationen: Wie bereits oben angedeutet, vergessen wir Dinge die für uns keine besondere Bedeutung haben (z.B. sich häufig wiederholende Ereignisse wie die Fahrt zur Arbeiten, Abwaschen, Zähneputzen etc.). Wenn jedoch während dieser Handlungen etwas besonderes passiert, "merkt" sich das Gehirn diese alltägliche Handlung in diesem Zusammenhang. Es handelt sich dabei um Details, die den gewohnten Gang einer Handlung stören und diesen somit erinnernswert machen. Umgekehrt wird ein Lügner Derartiges in seiner Aussage vermeiden, da es zu -ungewollten- Nachfragen führen könnte (so im Ergebnis auch: BGH vom 30.07.1999, aaO).
  • Unverständnis: Wer lügt, will überzeugen. Gibt also ein Zeuge an bestimmte beobachtete, z.B. deliktstypische Handlungsabläufe nicht verstanden zu haben, kann dies für eine subjetiv wahrheitsgemäße Aussage sprechen.
  • individuelle Prägung: Jeder Mensch ist anders, bedingt durch seine Herkunft, Alter, Bildung etc. Berichtet ein Zeuge also von Tatsächlich Erlebtem sollte sich diese Persönlichkeit auch in der Art seiner Aussage widerspiegeln. Hat z.B. ein Zeuge einen starken Dialekt und tritt dieser bei bestimmten Passagen des Berichts nicht auf, kann dies für Erfundenes oder auswendig Gelerntes sprechen. Ebenso verhält es sich bei einer untypischen Wortwahl oder fehlenden bzw. übertriebenen Emotionen.
  • Verflechtung: Unter Umständen lassen sich einzelne Informationen aus den Schilderungen eigenständig überprüfen. Eine lügende Person wird derartige Verflechtungen im Regelfall vermeiden, da eine Überprüfung die Unrichtigkeit ergeben könnte und damit die gesamte Aussage "in ein schlechtes Licht" rückt. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofes muss sich die Beweiswürdigung in einem Urteil deshalb mit Verfelchtungen ausdrücklich auseinandersetzen (BGH, Beschluss vom 09.11.1999 - 5 StR 252/99. zitiert nach StV 2000, 243).
  • Konstanz: Wird ein Zeuge mehrfach vernommen, sind die Inhalte der Aussagen zu vergleichen. Dabei kann eine sehr weitgehende Aussagekonstanz auch im Randbereich des Geschehens gegen eine subjektiv wahrheitsgemäße Aussage sprechen. Gleiches gilt für wesentliche Abweichungen im -nicht unbedingt juristisch relevanten- Kerngeschehen. Kerngeschehen bezeichnet vielmehr den Bereich des Geschehens den die auskunftgebende Person als emotional am Wichtigsten empfunden hat (so auch: Wendler/Hoffmann, aaO, S. 123). 

Es exisiteren noch viele weitere Realkennzeichen, die unmöglich im Rahmen eines solchen Beitrags abzuhandeln sind. Ist dieser erste Schritt absolviert und kann man danach von einer subjektiv wahren Aussage ausgehen, so ist zu prüfen ob die subjektive Wahrheit auch der objektiven Wahrheit entsprechen kann. Dies geschieht durch den Ausschluss von Irrtümern (z.B. Verwechslungen etc.)

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Kommentare: 1
  • #1

    Dietmar Purschke (Dienstag, 30 März 2021 13:15)

    Ein juristischer Kommentar, der auch für den Laien verständlich ist, die Augen öffnet für die Probleme, die jeden Angeklagten treffen können, insbesondere, wenn er vor einem Amtsgericht mit einem schlechten Verteidiger dasteht. Besonders auf der Amtsgerichtsebene wird äußerst oberflächlich und vielfach rechtsmissbräuchlich gearbeitet.
    Fehlende Kommas sind einzusetzen.

    Dietmar Purschke