Sexuelle Belästigung - "Me Too" und falsche Empfindlichkeit

Nachdem der Gesetzgeber in 2016 eine der umfassendsten Reformen des Sexualstrafrechts (Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung vom 4.11.2016 (BGBl. I, S. 2460))verabschiedet hat, wurde das Problem sexueller Übergriffe auch durch die sogenannte "Me Too" Debatte in das öffentliche Bewusstsein gerufen.

 

So wichtig der Schutz des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung ist, so unreflektiert, ja gefährlich ist die Art und Weise wie dieser Schutz nach Meinung des Gesetzgebers und tonangebender Prominenter in den sozialen Medien hergestellt werden soll. So warf die "Me Too" Debatte schwere Sexualstraftaten wie Vergewaltigungen in einen Topf mit sicher ärgerlichen und unangenehmen, aber im Übrigen nicht vergleichbaren Handlungen wie einem Griff an das Knie (so z.B. im Fall des britischen Verteidigungsministers Michael Fallon im November 2017).

 

Nach Ansicht des Autors schlug sich diese forsche und wenig durchdachte Herangehensweise auch in der Gesetzgebung nieder. Bezeichnend ist insoweit auch die Verabschiedung des oben erwähnten Gesetzes durch den Deutschen Bundestag. Fischer (StGB, 65. Auflage, Vor § 174, Rn. 4) trifft es nach hiesiger Ansicht:

 

"Der Zusammenhang zwischen Schutz-Zwecken und Wirksamkeit der strafrechtlichen Regelungen wird nicht stets hinreichend beachtet. Die Regelungen haben einen Grad von Kompliziertheit und Unübersichtlichkeit erreicht, der ihr Verständnis durch Laien praktisch ausschließt. (…) Durch eine fast exzessive Ausdehnung eines "Opfer"-Schutzkonzepts auf das materielle Strafrecht ist das Sexualstrafrecht zum Ausgangspunkt eines Strafrechtskonzepts geworden, das auf eine Vermischung von Repression und Prävention, eine paternalistische Symbolpolitik und eine Expansion von Tatbeständen in einen moralisierenden Vorfeldschutz setzt."

sexuelle Belästigung - § 184i StGB

Eine durch das erwähnte und kritisierte Gesetz eingeführte Regelung ist das strafrechtliche Verbot der sexuellen Belästigung in § 184i StGB. Sie lautet:

 

"Wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wenn die Tat in anderen Vorschriften nicht mit schwererer Strafe bedroht ist."

 

Der Gesetzgeber hat sich außerdem dazu entschieden im zweiten Absatz das Regelbeispiel eines besonders schweren Falles zu kodifizieren. Ein Solcher soll z.B. dann vorliegen, wenn die Tat gemeinschaftlich begangen wurde.

 

Es handelt sich um ein sogenanntes relatives Antragsdelikt. Das bedeutet, die Tat wird nur verfolgt wenn ein Strafantrag der -mutmaßlich- geschädigten Person vorliegt oder wenn die Staatsanwaltschaft das öffentliche Interesse an der Verfolgung bejaht.

 

Objektiv ist eine körperliche Berührung einer anderen Person notwendig. Diese muss in sexuell bestimmter Art und Weise erfolgen. Der Bundesgerichtshof hat sich in einer aktuellen Entscheidung (Beschluss vom 13.03.2018 - 4 StR 570/17, hier zitiert nach bundesgerichtshof.de, Rn. 26ff.) zu dieser Voraussetzung geäußert und dabei auch die bisherigen Meinungen in der Literatur zusammengefasst:

 

"aa) Teile der Literatur bestimmen den Begriff „in sexuell bestimmter  Weise“ anhand objektiver Umstände und verlangen, dass sich der Sexualbezug aus der Berührung als solcher ergeben müsse – diese müsse nach ihrem äußeren Erscheinungsbild eine sexuelle Konnotation aufweisen (vgl. MüKo-StGB/ Renzikowski, 3. Aufl., § 184i Rn. 8; ders., NJW 2016, 3553, 3557; SK-StGB/ Noltenius, 9. Aufl., § 184i Rn. 6; Hörnle, NStZ 2017, 13, 20; Hoven/Weigend, JZ 2017, 182, 189; in diese Richtung auch Krug/Weber, ArbR 2018, 59, 60).  Zur Bestimmung des Sexualbezugs werden als Kriterien genannt die soziokulturell bestimmte Bedeutung der berührten Körperstelle (Renzikowski, aaO) sowie der Umstand, dass für den in Rede stehenden Körperkontakt typischerweise das Bestehen einer intimen Beziehung vorausgesetzt werde (Hörnle, aaO; Noltenius, aaO).


bb) Nach anderer – weiter gehender – Auffassung soll das Vorliegen  einer Berührung „in sexuell bestimmter Weise“ anhand der Auslegungskriterien zu bestimmen sein, welche die Rechtsprechung zum Begriff der sexuellen Handlung nach § 184h Nr. 1 StGB entwickelt hat (Fischer, StGB, 65. Aufl., § 184i Rn. 4 bis 5a; in diese Richtung auch BeckOK-StGB/Ziegler, Stand: 1. Februar 2018, § 184i Rn. 4 und 5); demnach könne eine Berührung sowohl objektiv – nach dem äußeren Erscheinungsbild – als auch subjektiv – nach den Umständen des Einzelfalls – sexuell bestimmt sein, wobei es allerdings nicht ausreiche, dass die Handlung allein nach der subjektiven Vorstellung des Täters sexuellen Charakter habe (Fischer, aaO)."

 

Der Senat entscheid sich letztlich für die letztgenannte Ansicht (BGH, aaO, Rn. 28).

 

"Eine Berührung in sexuell bestimmter Weise ist demnach zu bejahen, wenn sie einen Sexualbezug bereits objektiv, also allein gemessen an dem  äußeren Erscheinungsbild, erkennen lässt. Darüber hinaus können auch ambivalente Berührungen, die für sich betrachtet nicht ohne Weiteres einen sexuellen Charakter aufweisen, tatbestandsmäßig sein. Dabei ist auf das Urteil eines objektiven Betrachters abzustellen, der alle Umstände des Einzelfalles kennt; hierbei ist auch zu berücksichtigen, ob der Täter von sexuellen Absichten geleitet war. Insofern gilt im Rahmen von § 184i Abs. 1 StGB nichts anderes als bei der Bestimmung des Sexualbezugs einer Handlung gemäß § 184h Nr. 1 StGB (vgl. hierzu die st. Rspr.; BGH, Urteile vom 8. Dezember 2016 – 4 StR 389/16 Rn. 7; vom 21. September 2016 – 2 StR 558/15, NStZ 2017, 528; vom 10. März 2016 – 3 StR 437/15, BGHSt 61, 173, 176; vom 6. Februar 2002 – 1 StR 506/01, NStZ 2002, 431, 432; Beschlüsse vom 6. Juni 2017 – 2 StR 452/16, StV 2018, 231; vom 19. August 2015 – 5 StR 275/15, StraFo 2015, 471)."

 

Die Problematik dieser Regelung wird durch die zitierte Rechtsprechung nicht verringert.

 

Schon die Frage wie Handlungen mit einem geringen Sexualbezug z.B. das Streicheln eines Arms oder eben die Hand auf dem Knie in diesem Zusammenhang bewertet werden sollen, bleibt unbeantwortet. Eine Erheblichkeitsschwelle wie sie § 184h Nr. 1 StGB kennt, hat die Regelung nicht. Der Gesetzgeber sieht die erwähnten Beispiele als strafwürdig an (BT-Drs. 18/9097).

 

Weiter ist notwendig, dass das "Opfer" durch die Handlung sexuell belästigt wird. Diese, von Fischer (aaO, Rn. 6) als Taterfolg angesehene Voraussetzung, soll vorliegen wenn es zu einer rein subjektiven (also nur vom "Opfer" empfundenen) Störung des Wohlbefindens kommt. Da dieser Begriff wie Fischer treffend bemerkt, "uferlos" ist, erscheint die Ansicht Renzikowskis (Müko-StGB, 3. Auflage 2017, § 184i, Rn. 9) vorzugswürdig, der das Vorliegen einer Belästigung an die Erkennbarkeit eines entgegenstehenden oder fehlenden Willens des "Opfers" knüpfen will. Damit würde aus § 184i StGB eine Art niedrigschwelliger "sexueller Übergriff" im Sinne des § 177 StGB, was zumindest systematisch sinnvoller erscheint als eine absolute Eigenständigkeit der Norm.

Fazit

Dass die Regelung rechtspolitisch verfehlt ist, dürfte ersichtlich sein. Der Griff auf das Knie, der Kuss auf die Wange und ähnliche Handlungen sind ungehörig ggf. unmoralisch. Sei können und sollten ggf. gesellschaftlich geächtet werden. Strafwürdig sind sie nicht. Das Strafrecht ist "das schärfste Schwert" des Gesetzgebers. Er muss es maßvoll einsetzen.

 

Selbst -wie es Juristen tun und tun müssen- wendet man diese Norm an, trifft man auf erhebliche Probleme. Letztlich bleibt dem jeweils entscheidenden Tatrichter ein erheblicher Entscheidungsspielraum im Hinblick auf den Begriff der Berührung in sexuell bestimmter Art und Weise sowie bei der Frage wann eine Belästigung vorliegt und ob diese Frage nicht objektiv beantwortet werden muss, was nach hiesiger Ansicht der Fall ist.

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