Verdachtsberichterstattung - Strafe ohne Grenzen

(Straf-)Verteidigung spielt sich nicht nur im Gericht ab.

 

Neben der häufig sehr viel effektiveren Verteidigung im Ermittlungsverfahren gilt es nur allzu oft die sogenannten "Nebenkriegsschauplätze" zu bearbeiten.

 

Dies kann z.B. die Vertretung und Verteidigung gegen beispielsweise arbeitsrechtliche Sanktionen bis zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses ebenso sein wie zivil-, steuer-, verwaltungs- oder gar familienrechtliche Folgen.

 

Ganz besonders unangenehm kann es werden, wenn es bereits im Ermittlungsverfahren oder sogar vor der Einleitung eines Solchen zu einer Berichterstattung kommt. Diese sogenannte Verdachtsberichterstattung kann zwar zulässig sein, führt aber nur allzu oft zu einer öffentlichen Vorverurteilung und hat damit die Wirkung eines Prangers.

 

Diese heute nicht mehr vorgesehene Art der Bestrafung verdient die höchste Missbilligung wobei angemerkt sei, dass es selbst im -ach so dunklen- Mittelalter immerhin notwendig war, dass der Betroffene verurteilt war. Dies ist bei der Verdachtsberichterstattung aber gerade nicht notwendig.

 

Die folgenden Ausführungen soll in aller Kürze die allgemeinen Voraussetzungen der Verdachtsberichterstattung umreißen und dabei insbesondere auf die Pressearbeit der Staatsanwaltschaften im Ermittlungsverfahren eingehen.

Die allgemeinen Voraussetzungen der Verdachtsberichterstattung

Abgeleitet wird die allgemeine Zulässigkeit der Verdachtsberichterstattung aus Art. 5 Abs. 1 GG (siehe nur: Lehr, Münchner Anwaltshandbuch Strafverteidigung, 2. Auflage 2014, § 21, Rn. 15; Gounalakis, Verdachtsberichterstattung durch den Staatsanwalt, NJW 2012, 1473).

 

Danach dürfen Medien dann über den bloßen Verdacht einer Straftat berichten, wenn daran ein besonderes öffentliches Interesse besteht (so z.B. BGH, Urteil vom 12. April 2016 – VI ZR 505/14 –, hier zitiert nach juris; Lehr, aaO).  

 

Problematisch und nach hiesiger Ansicht von der Rechtsprechung nur unzutreffend gelöst, ist das Spannungsverhältnis dieses grundrechtlichen geschützten presserechtlichen Anspruchs mit dem ebenfalls grundrechtlichen geschützten Persönlichkeitsrecht des Betroffenen.

 

Einigkeit besteht jedoch zumindest darüber, dass es einer umfassenden Abwägung zwischen dem Interesse des Berichterstatters und den Rechten des Betroffenen auch unter Berücksichtigung möglicher Folgen bedarf (siehe nur: BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19. Oktober 2006 – 1 BvR 152/01 –, hier zitiert nach juris; BGH, aaO; Lehr, aaO; Gounalakis, aaO).

 

Der Bundesgerichtshof hat in seiner Leitsatzentscheidung vom 07.12.1999 (BGH, Urteil vom 7. 12. 1999 - VI ZR 51/99, hier zitiert nach NJW 2000, 1036, beck-online) dazu die folgenden Kriterien postuliert (Hervorhebungen durch den Autor):

 

"Voraussetzung für die Zulässigkeit einer solchen Berichterstattung ist zunächst das Vorliegen eines Mindestbestands an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst „Öffentlichkeitswert” verleihen (vgl. BGHZ 68, 331 = NJW 1977, 1288 [1289] = LM § 823 [Ah] BGB Nr. 58; NJW 1997, 1148 [1149] = LM H. 6/1997 Art. 5 GrundG Nr. 90). Dabei sind die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht umso höher anzusetzen, je schwerer und nachhaltiger das Ansehen des Betroffenen durch die Veröffentlichung beeinträchtigt wird (BGHZ 59, 76 = NJW 1972, 1658 [1659] = LM § 824 BGB Nr. 16, und BGHZ 68, 331 = NJW 1977, 1288 = LM § 823 [Ah] BGB Nr. 58, ebenso OLG Brandenburg, NJW 1995, 886 [888]). Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten, also durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen strafbaren Handlung bereits überführt (OLG Brandenburg, NJW 1995, 886; OLG München, NJW-RR 1996, 1487 [1488]; NJW-RR 1996, 1493 [1494]; OLG Frankfurt a. M., NJW-RR 1990, 989 [990]). Unzulässig ist nach diesen Grundsätzen eine auf Sensationen ausgehende, bewusst einseitige oder verfälschende Darstellung; vielmehr müssen auch die zur Verteidigung des Beschuldigten vorgetragenen Tatsachen und Argumente berücksichtigt werden (BVerfGE 35, 202 [232] = NJW 1973, 1226; Senat, NJW 1965, 2395 [2396] = LM Art. 5 GrundG Nr. 20). Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen (BGHZ 132, 13 [25] = NJW 1996, 1131 = LM H. 6/1996 § 823 [Ah] BGB Nr. 123 m. w. Nachw.). Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist."

 

Dabei belässt es der Bundesgerichtshof jedoch nicht:

 

"Andererseits dürfen die Anforderungen an die pressemäßige Sorgfalt und die Wahrheitspflicht nicht überspannt und insbesondere nicht so bemessen werden, dass darunter die Funktion der Meinungsfreiheit leidet (BVerfGE 85, 1 [15] = NJW 1992, 1439; BGHZ 132, 13 [24] = NJW 1996, 1131 = LM H. 6/1996 § 823 [Ah] BGB Nr. 123; zur Recherchierungspflicht vgl. auch BGHZ 139, 95 = NJW 1998, 3047 = LM H. 1/1999 Art. 5 GrundG Nr. 92). Straftaten gehören nämlich zum Zeitgeschehen, dessen Vermittlung zu den Aufgaben der Medien gehört (BVerfGE 35, 202 [230 f.] = NJW 1973, 1226). Dürfte die Presse, falls der Ruf einer Person gefährdet ist, nur solche Informationen verbreiten, deren Wahrheit im Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits mit Sicherheit feststeht, so könnte sie ihre durch Art. 5 I GG verfassungsrechtlich gewährleisteten Aufgaben bei der öffentlichen Meinungsbildung nicht durchweg erfüllen (BVerfGE 97, 125 [149] = NJW 1998, 1381; Senat = BGHZ 68, 331 = NJW 1977, 1288 = LM § 823 [Ah] BGB Nr. 58), wobei auch zu beachten ist, dass ihre ohnehin begrenzten Mittel zur Ermittlung der Wahrheit durch den Zwang zu aktueller Berichterstattung verkürzt sind. Deshalb verdienen im Rahmen der gebotenen Abwägung zwischen dem Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit regelmäßig die aktuelle Berichterstattung und mithin das Informationsinteresse jedenfalls dann den Vorrang, wenn die oben dargestellten Sorgfaltsanforderungen eingehalten sind."

 

Diese Auffassung bestätigte auch das Bundesverfassungsgericht (aaO).

 

Nach hiesiger Ansicht mögen die -streng klingenden- Anforderungen an die Verdachtsberichterstattung zwar den Schutz der Rechte des Betroffenen gewährleisten können, laufen in der Praxis jedoch nur allzu oft leer.

 

Dies im Wesentlichen deshalb weil sich die Presse regelmäßig auf -teilweise in jeder Hinsicht unzulässige- Angaben der Ermittlungsbehörden berufen kann und so nach Ansicht einiger Gerichte sowohl der Recherchepflicht als auch dem Ausgewogenheitserfordernis genügt.

 

Hinzukommt, dass gerade in Fällen öffentlichkeitswirksamer Ermittlungsmaßnahmen allein der Umstand, dass diese stattgefunden haben (z.B. Durchsuchungen und Ingewahrsamnahmen) Anlass für eine weitgehende, häufig kaum zu rechtfertigende Verdachtsberichterstattung bietet. Dabei nimmt die Presse nur allzu gern in Kauf, dass es zu einer -eigentlich unzulässigen- Vorverurteilung kommt wobei sich bereits die Frage stellt wie eine Berichterstattung aussehen soll, die nicht zu einer Vorverurteilung führt. Schon die verwendeten Formulierungen, insbesondere der sogenannten Boulevardpresse sind nicht selten als tendenziös zu bezeichnen.

Verdachtsberichterstattung durch Ermittlungsbehörden - gefürchtete Pressemitteilungen

Die obigen Ausführungen führen zwingend zu der Frage welche Informationen von Ermittlungsbehörden (Staatsanwaltschaft, Polizei etc.) oder Gerichte an die Presse oder direkt an die Öffentlichkeit weitergegeben werden dürfen.

 

Ermittlungsverfahren sind nicht öffentlich - Punkt.

 

Trotz dieser -eigentlich klaren und sinnvollen- Erkenntnis wird aus Art. 5 GG (siehe hierzu oben) abgeleitet und in den Landespressegesetzen normiert, dass die Presse einen Auskunftsanspruch gegenüber Behörden hat (siehe z.B. § 4 Abs. 1 LPrG M-V). Dieser Anspruch besteht jedoch nicht grenzenlos. So können Auskünfte verweigert werden, wenn hierdurch die sachgemäße Durchführung von schwebenden Verfahren oder Verwaltungsvorgängen zu Lasten Dritter vereitelt, erschwert, verzögert oder gefährdet werden könnte oder ein überwiegendes öffentliches oder schutzwürdiges privates Interesse verletzt würde (so z.B. § 4 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 LPrG M-V wobei sich analoge Regelungen in allen Landespressegesetzen finden).

 

Das Wort "können" ist insoweit problematisch als dass nach hiesiger Ansicht in diesen Fällen, insbesondere bei einem entgegenstehenden schutzwürdigen Interesse, die Auskunft zwingend zu verweigern ist. Das Wort "können" gibt den Ermittlungsbehörden einen scheinbaren und oftmals verkannten oder gar missbrauchten Spielraum. Nur allzu wird in der Praxis der Informationspolitik aus dem "können" ein "dürfen nicht (...verweigert werden...), wenn nicht" wobei keine Informationspflicht der Staatsanwaltschaft besteht, wenn sie nach der zwingend vorzunehmenden Abwägung zu dem Ergebnis kommt, dass die Interessen des Beschuldigten überwiegen (so auch: Gounalakis, aaO). Beispiele für dieses schwerwiegende Fehlverhalten finden sich leider zahlreich in der jüngeren Geschichte. Nur beispielsweise sei auf zwei extreme Fälle hingewiesen:

 

1. Der Fall "Kachelmann"

 

Dem Moderator wurde die Vergewaltigung seiner langjährigen Freundin vorgeworfen. Schon das Ermittlungsverfahren entwickelt sich zu etwas was als "mediales Schlachtfest" bezeichnet werden muss. Insbesondere die Staatsanwaltschaft Mannheim ging dort in festgestellt rechtswidriger Art und Weise vor und stellt falsche Tatsachenbehauptungen auf. Letztlich gab sie sogar eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, da sie auch nach Abschluss des Verfahrens durch einen Freispruch weiter behauptete, dass sich DNA des Angeklagten an einem Messer befände (so laut Medienberichten das Protokoll der Sitzung des VGH Baden-Württemberg -1 S 191/17).

 

2. Der Fall "Lena"

 

Der ein oder andere mag sich an den Fall erinnern. Es gab den Verdacht eines Tötungsdelikts an einem Mädchen in Emden. Zunächst wurde ein Berufsschüler verdächtigt und in Untersuchungshaft genommen. Der Verdacht bestätigt sich nicht, es erfolgte die Entlassung aus der Untersuchungshaft und die Einstellung des Verfahrens. Es ergab sich im Verlaufe der weiteren Ermittlungen ein weiterer Tatverdächtiger, der die Tat dann auch gestand. 

 

In der Zwischenzeit ist maßgeblich durch das Verhalten der Justizbehörden die Existenz des zu Unrecht Verdächtigt beinahe -sogar körperlich- vernichtet worden. Lehr hat dies -sehr zu Recht- in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ vom 01.04.2012 - hier abrufbar) scharf kritisiert und dazu ausgeführt, dass sich die Ermittlungsbehörden nicht auf den einzig zulässigen allgemeinen Hinweis, dass man gegen einen Tatverdächtigen ermittele beschränkte, sondern sich nach Medienberichten zu zahlreichen Details über die Person, das angeblich widersprüchliche Aussageverhalten und die mögliche Motivlage äußerten. Dies ermöglichte Medien und Öffentlichkeit binnen kürzester Zeit die Identifizierung. Der zu Unrechte Verdächtigte wurde rücksichtslos als wahrscheinlicher Täter abgestempelt. Die nicht beherrschbare Spirale der öffentlichen Kriminalisierung, der Zerstörung des Ansehens, der Vernichtung der sozialen Existenz als moderne Form des Prangers setzte im Internet ein und führte schließlich zu Lynch-Bestrebungen.

 

Wie allein aus den kurz beschriebenen Bespielen ersichtlich sein dürfte, ist eigentlich kein Szenario denkbar in dem -zumindest die identifizierende bzw. die Identifizierung ermöglichende- Berichterstattung über Ermittlungsverfahren gerechtfertigt wäre. Zu groß und vor Allem zu nachhaltig sind die Auswirkungen derartiger Erklärungen.

Folgen und Fazit

Wie auch Lehr (FAZ vom 01.04.2012, aaO), muss man angesichts derartiger Vorfälle, die im Kleinen täglich anzutreffen sind, zu dem Schluss kommen, dass dies auch daran liegt, dass Verstöße dieser Art nicht hinreichend sanktioniert werden.

 

Wie beinahe alle Verstöße von Angehörigen der Ermittlungsbehörden (siehe nur das Thema der Polizeigewalt) ist die Aufklärung schwierig, da sich das gesamte System gegen eine rechtmäßige Aufklärung und ggf. anschließende Ahndung wehrt. 

 

Selbst kommt es, wie im Fall Kachelmann, zu einer gerichtlichen Klärung presserechtlicher Verstöße werden häufig die Voraussetzungen für die Zahlung eines Schmerzensgeld als nicht gegeben angesehen und die Sache auch von den erkennenden Zivilgerichten scheinbar heruntergespielt.

 

Nichtsdestotrotz sollte gegen unzulässige oder falsche Berichterstattung der Ermittlungsbehörden entschieden vorgegangen werden. Dies muss nicht unmittelbar mit einer gerichtlichen Geltendmachung einhergehen. Dennoch kann eine kluge Informationspolitik manchmal das Schlimmste verhindern.

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