Verfolgungsverjährung III - Das Ruhen der Verjährung bei Sexualstraftaten

Nachdem in den letzten beiden Beiträgen (hier (Verfolgungsverjährung I) und hier (Verfolgungsverjährung II) abrufbar) der Beginn, die Frist und die Unterbrechung der Verjährung im Strafrecht erörtert wurden, geht es im dritten Teil der Reihe um das Ruhen der Verfolgungsverjährung.

 

Geregelt ist das Ruhen in § 78b StGB. Das Ruhen bewirkt, anders als die Unterbrechung nur eine Hemmung des Fristlaufs. Hat dieser noch gar nicht begonnen – z.B. weil der tatbestandsmäßige Erfolg (§ 78a S. 2) noch nicht eingetreten ist – so unterdrückt der ruhensbegründende Umstand den Fristlauf von Anfang an. Tritt der ruhensbegründende Umstand während einer laufenden Frist auf, wird der Lauf angehalten und bleibt dies so lange, bis das Ruhen wieder aufgehoben ist. Dann wird der Fristlauf an der Stelle fortgesetzt, wo er zuvor angehalten wurde (so auch: Mitsch, MüKo-StGB,3. Auflage 2016, § 78b, Rn. 1).

 

Das Gesetz sieht verschiedene Umstände vor, unter denen die Verjährung ruht.

Die Voraussetzungen des Ruhens

Zunächst ruht die Verjährung bei ausgewählten Sexualstraftaten und dies bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres beim Opfer.

 

Die im Grundsatz 1994 eingeführte und zuletzt 2015 erweiterte Regelung soll dem Umstand Rechnung tragen, dass bestimmte Sexualdelikte meist schon verjährt sind, wenn sie zur Anzeige gebracht werden können, entweder weil die zur Tatzeit meist noch sehr jungen Opfer das Erlebte häufig erst längere Zeit nach der Tat begreifen oder weil sie in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Täter stehen, so dass sie nicht vor Eintritt der Volljährigkeit eine freie Entscheidung über eine Strafanzeige treffen können (BT-Drucks. 12/7438, 2; 17/6261, 23 f; 17/8117, 17; 18/2601, 22 f; BGH 29.10.2015 –3 StR 342/15, BeckRS 2016, Nr. 03743, Rn. 10).

 

Die von der Regelung des § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB erfassten Delikte sind zunächst die Missbrauchstatbestände der §§ 174 bis § 174c StGB. Hierzu gehören der Missbrauch Schutzbefohlener, der Missbrauch von Gefangenen, behördlich Verwahrten und Kranken und Hilfsbedürftigen in Einrichtungen, der Missbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung oder Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses.

 

Weiter fällt der sexuelle Missbrauch von Kindern einschließlich aller Varianten und die -neue- sexuelle Nötigung (§ 177 StGB) unter die Regelung. Sexueller Missbrauch Jugendlicher (§ 182 StGB), die Misshandlung Schutzbefohlener sowie die Verstümmlung weiblicher Genitalien führen ebenfalls zum Ruhen nach § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB.

 

Die jeweilige Tat führt auch dann zu einem Ruhen der Verjährung, wenn es nur zu einem Versuch (§ 22 StGB) gekommen ist und gilt auch für den Teilnehmer an einer solchen Straftat (z.B. Anstifter oder Gehilfe) (Mitsch, MüKo-StGB,3. Auflage 2016, § 78b, Rn. 8; Saliger in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5. Auflage 2017, § 78 b, Rn. 7).

 

Das Ruhen endet in diesen Fällen mit Ablauf des dem 30. Geburtstag vorangehenden Tages.

 

Die -gut gemeinte- Regelung führt nach Ansicht des Autors zu verschiedenen, beweispraktischen Problemen. Es dürfte in den meisten Fällen zu erheblichen Problemen führen, wenn eine Tat mehr als 20 Jahre nach ihrer Begehung aufgeklärt werden soll. Dies ist nämlich nach der Gestaltung durchaus denkbar. Bereits der "einfache" sexuelle Missbrauch wie z.B. der Griff an die weibliche Brust oder ein Zungenkuss zwischen einer, zum "Tatzeitpunkt" 22jährigen und einer 15jährigen Person kann nach Ablauf der Anlaufhemmung (bis zum 30. Geburtstag der 15jährigen Person) noch 5 Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) verfolgt werden, so dass eine Hauptverhandlung noch bis zu 20 Jahre nach dem Vorfall stattfinden könnte.

 

Schon die Aufklärung des objektiven Geschehens dürfte angesichts fehlender Erinnerung von Zeugen und Beteiligten erheblich erschwert sein. Hinzukommt, dass beispielsweise der beschriebene sexuelle Missbrauch Jugendlicher nach § 182 Abs. 3 StGB auch erfordert, dass der Täter die fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausnutzt. Gemeint ist eine altersbedingte Unreife, die anders als bei Kindern unter 14 Jahren – gerade auch im Verhältnis zum Täter – im Einzelfall festgestellt werden muss (BGH, NStZ 1997, 98; NJW-Spezial 2013, 728 = BeckRS 2013, 18467; Fischer Rn. 12; BeckOK StGB/Ziegler, StGB, § 182, Rn. 9-11, beck-online).

 

Hierzu ist der geistige und sittliche Entwicklungsstand, der den Jugendlichen befähigt, seine Veranlagung und sexuelle Ausrichtung sowie die Bedeutung und Tragweite der konkreten sexuellen Handlung und eine etwa hierdurch drohende Gefährdung zu erkennen, zu prüfen (BayObLG NStZ 1995, 500 (501)). Hieran kann es im Hinblick auf den noch nicht abgeschlossenen Reifeprozess der Altersgruppe bis 16 Jahre und deren fehlender sexueller Autonomie fehlen, zwingend ist dies aber nicht (vgl. BGH NJW 2000, 3726; Fischer, StGB, § 182, Rn. 12 f.). Auch reicht es zur Annahme des Fehlens sexueller Selbstbestimmungsfähigkeit noch nicht aus, dass das Opfer bislang noch keine sexuellen Erfahrungen hatte (BGH BeckRS 2008, 03410; 2011, 26782; BeckOK StGB/Ziegler, aaO).

 

Auch dem Laien dürfte sich erschließen, dass dies festzustellen 20 Jahre nach einem derartigen Vorfall kaum mehr möglich sein dürfte. Schon der Zweifelsgrundsatz wird es in derartigen Fällen oftmals gebieten, einen Angeklagten freizusprechen, da nicht festgestellt werden kann, ob das "Opfer" in der Lage war sein Recht zur sexuellen Selbstbestimmung auszuüben und auch ob der "Täter" diesen Mangel erkannt und ausgenutzt hat.

 

Den gesamten Aufsatz (einschließlich der Teile 1 und 2) im PDF-Format können Sie hier herunterladen.

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