Notwehr und Notwehrexzess - Wandern auf dem schmalen Grat

Der Begriff der Notwehr ist auch Laien regelmäßig bekannt. Dennoch bestehen viele Missverständnisse.

 

Geregelt ist die Notwehr in § 32 StGB. Danach handelt nicht rechtswidrig, wer in Notwehr handelt. Entfällt die Rechtswidrigkeit der Tat, entfällt im Ergebnis auch deren Strafbarkeit.

 

Um in Notwehr zu handeln ist es notwendig, dass eine sogenannte Notwehrlage vorliegt.

Angriff

Dies ist der Fall, wenn ein gegenwärtiger und rechtswidriger Angriff auf ein rechtlich geschütztes Gut oder Interesse vorliegt. Das klingt sehr abstrakt, so dass versucht wird dies anhand eines Beispiels verständlich zu machen.

 

Ein rechtswidriger Angriff liegt z.B. vor, wenn eine Einwirkung auf ein Rechtsgut (z.B. Leben, Eigentum, körperliche Intergrität "Unverletzheit" etc.) unmittelbar bevorsteht. Vorbereitungshandlungen wie z.B. das Mitführen eines Messers reichen regelmäßig noch nicht aus (Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, StGB § 32 Rn. 52, beck-online, anderer Ansicht: RGSt 53, 132 (133); 67, 337 (339 f)). Andererseits braucht die Angriffshandlung das Versuchsstadium noch nicht erreicht zu haben (Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, aaO).

 

Ein Angriff kann natürlich nicht nur bei einer drohenden bzw. stattfindenden Gewaltanwendung gegeben sein. So kommt ein Angriff unter anderem auch bei Angriffe auf alle anderen, persönlichen rechtlich geschützten Rechtsgüter in Betracht (so z.B. Eigentum).

 

Der Angriff muss auch rechtswidrig sein. Das heißt, der Täter darf seinerseits nicht in Notwehr handeln. Eine derartige Konstellation kann z.B. dann vorliegen, wenn ein eigener Angriff auf ein geschütztes Rechtsgut stattgefunden hat, so bei wechselseitigen Angriffen (z.B. Schlägen).

Notwehrhandlung und subjektives Rechtfertigungselement

Liegt eine Notwehrlage vor, stellt sich die Frage, welche Handlungen noch von der Notwehr umfasst sind.

 

Grundsätzlich ist dies eine Frage des Einzelfalls, die kaum pauschal entschieden werden kann. Derjenige der einen rechtswidrigen Angriff abwenden will, muss zunächst eine Art Abwägung durchführen und entscheiden, ob und inwieweit eine Abwehr des Angriffs notwendig ist. Der Jurist fragt hierbei nach der Erforderlichkeit der Notwehr. Das bedeutet, es ist zunächst danach zu fragen, ob die Notwehr geeignet war den Angriff abzuwenden. Weiterhin sollte die Notwehrhandlung auch das mildeste zur Verfügung stehende Mittel darstellen (Schönke/Schröder/Perron, 29. Aufl. 2014, StGB § 32 Rn. 34).

 

Der Begriff des mildesten Mittels ist etwas irreführend. Es ist nicht notwendig, dass es sich wirklich um das mildeste Mittel handelt (so auch: Joecks, Studienkommentar-StGB, 8. Auflage, § 32, Rn. 14). Hat man mehrere Alternativen den Angriff zu beenden, kann man das Mittel wählen, welches aus der eigenen Sicht am besten geeignet ist, den Angriff zu beenden. Bei mehreren gleichgeeigneten Mitteln ist dasjenige zu wählen, welches den wenigsten Schaden anrichtet. Hat man also die Wahl z.B. einen Angriff durch die Androhung eines Schlages abzuwehren, kann das Ausführen eines Schlages nicht erforderlich gewesen sein. Findet der Angriff sehr schnell und / oder plötzlich statt, kann eine Abwägung unter Umständen ganz unterbleiben. Andererseits ist das Abwehrmittel -im Rahmen der Möglichkeiten- so schonend wie möglich einzusetzen (Schönke/Schröder/Perron, 29. Aufl. 2014, StGB § 32 Rn. 36b).

 

Weiterhin ist es notwendig, dass auch mit einem Abwehrwillen gehandelt wird. Das ist auch logisch, denn wer sich nicht verteidigen will, ist auch nicht schutzwürdig. Das bedeutet, wer andere Ziele mit seiner "Abwehr" verfolgt (z.B. Rache o.Ä.) handelt auch nicht in Notwehr (Fischer, StGB, 55. Auflage, § 32, Rn. 26; BGH, Urteil vom 27. Oktober 2015 – 3 StR 199/15 –, zitiert nach juris, dort Rn. 8 mit weiteren Nachweisen). Mehrere Motive nebeneinander sind jedoch nicht schädlich (z.B. wenn der Verteidigende einen Angriff abwehren will und den Angreifer sowieso nicht leiden kann).

Bei Angriffen von Kindern, Geisteskranken und schuldlos Irrenden  ist ein höherer Maßstab an die Notwendigkeit (Gebotenheit) der Notwehr zu stellen. Wenn es irgendwie möglich ist, ist dem Angriff durch so eine Person auszuweichen. In einer ausweglosen Situation wird man wohl die Rechtfertigung durch Notwehr trotzdem annehmen können (so auch: Joecks, aaO, Rn. 29). 

 

Außerdem wird eine Rechtfertigung durch Notwehr auch dann verneint, wenn die Notwehr in einem "krassen Missverhältnis" zum angegriffenen Rechtsgut steht . Ein Lehrbeispiel für ein solches "krasses Missverhältnis" ist Derjenige, der jemanden erschiesst, der lediglich ein paar Kirschen von seinem Baum pflückt.

 

Ebenso kommt es zu Einschränkungen des Notwehrrechts bei nahestehenden Angreifern. Hierzu zählen unter anderem Angehörige (BGH, Urteil vom 01. Juni 2016 – 1 StR 597/15 –, zitiert nach juris, dort Rn. 41). Die Einschränkung bedeutet nicht, dass kein Recht zur Notwehr besteht, sondern nur, dass bei der Auswahl des Notwehrmittels engere Grenzen zu ziehen sind.

Notwehrprovokation und Nothilfe

Insbesondere in Klausuren der Ersten Juristischen Prüfung wird häufiger die Problematik der Notwehrprovokation aufgegriffen. Da auch in der Praxis die Frage nach der Provokation einer Notwehrsituation besteht, beschäftigt sich der folgende Nachtrag ausschließlich mit diesem Thema.

 

Provoziert der Täter den Angriff selbst, wird ebenfalls eine Einschränkung des Notwehrrechts diskutiert. Allerdings gibt es keine klare Linie anhand derer der Umfang und die Kriterien dieser Einschränkung festgelegt ist. Eine aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofes definiert die Erfordernisse an die Notwehrhandlungen in derartigen Fällen wie folgt "Wer durch ein sozialethisch zu beanstandendes Vorverhalten einen Angriff auf sich schuldhaft provoziert hat, auch wenn er ihn nicht in Rechnung gestellt haben sollte oder gar beabsichtigt hat, darf nicht bedenkenlos von seinem Notwehrrecht Gebrauch machen und sofort ein lebensgefährliches Mittel einsetzen. Er muss vielmehr dem Angriff nach Möglichkeit ausweichen und darf zur Trutzwehr mit einer lebensgefährlichen Waffe erst übergehen, nachdem er alle Möglichkeiten zur Schutzwehr ausgenutzt hat; nur wenn sich ihm diese Möglichkeit verschließt, ist er zu entsprechend weitreichender Verteidigung befugt" (BGH, Urteil vom 01. Juni 2016 – 1 StR 597/15 –, zitiert nach juris).

 

Jedenfalls ist notwendig, dass der Täter durch sein Verhalten die Ursache für den Angriff gesetzt hat, gegen den er im Rahmen der Notwehr vorgeht. Dies kann jedoch nicht die einzige Voraussetzung sein, da dies zu völlig unsinnigen Ergebnissen führen würde. Wie Joecks (aaO, Rn. 21) zutreffend ausführt, ist auch derjenige der sich an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit aufhält ursächlich dafür z.B. beraubt zu werden. Allerdings wird auch der Laie zustimmen, dass sich daraus keine Einschränkung des Notwehrrechts ergeben kann.

 

Vielmehr ist darauf abzustellen, ob der Täter absichtlich, vorsätzlich, fahrlässig oder gar schuldlos provoziert. Auch wird danach zu differenzieren sein, ob die Provokation rechtswidrig, neutral oder gar rechtmäßig war.

 

Führt der Angegriffene den Angriff wissentlich und willentlich, also zielgerichtet hierbei um "unter dem Deckmantel" der Notwehr den Angreifer zu verletzen (sogenannte Absichtsprovokation), so hat er dem Angriff auszuweichen (BGH in: NJW 1983, S. 2267). Dies gilt nach der Ansicht des Bundesgerichtshofes auch dann, wenn der Angegriffene erkennt, dass sein Verhalten einen Angriff hervorrufen wird und er dies billigend in Kauf nimmt (BGH, Urteil vom 26. Oktober 1993 – 5 StR 493/93 –, BGHSt 39, 374-381) (sogenannte Vorsatzprovokation). Die Rechtfertigung wird dabei -logischerweise- deshalb versagt, weil der Angegriffene ja der eigentliche Angreifer ist. Ihm kommt es gerade darauf an, angegriffen zu werden um sich wehren zu können.

 

Sich bewusst oder vorhersehbar in eine Situation zu begeben, in der ein rechtswidriger Angriff wahrscheinlich ist, reicht nach dem Bundesgerichtshof für den Vorwurf der Notwehrprovokation nicht aus. Auch frühere Taten gegen Dritte führen nicht unbedingt zu einer Einschränkung des Notwehrrechts. Fischer (StGB, 64. Auflage, § 32, Rn. 43) ist mit dem Bundesgerichtshof sowie Teilen der rechtswissenschaftlichen Lehre, der Meinung, dass auch die Abwehr von Schutz- und Schweigegelderpressungen oder die Abwehr von Gewalttätigkeiten zur Wegnahme von Beute aus Straftaten des Angegriffenen grundsätzlich ein Notwehrrecht begründen kann.

 

Alle Konstellationen in einem derartigen Beitrag zu erfassen ist schlicht nicht möglich. Dem Laien kann im Ergebnis das Folgende mitgegeben werden:

 

Richten Sie Ihr Verhalten darauf aus, dass es zu einem rechtswidrigen Angriff auf Sie bzw. Ihre Rechtsgüter kommt, können Sie sich zumindest nicht im vollen Umfang auf ein Notwehrrecht berufen. Jedenfalls sind die Anforderungen an das zu wählende mildeste Mittel deutlich höher und es muss u.U. auch die Möglichkeit der Flucht in Erwägung gezogen werden, was bei einer nicht provozierten Notwehr -rechtlich- nicht notwendig ist.

 

Das Ausgeführte gilt über § 32 Abs. 2 StGB auch dann, wenn man einen rechtswidrigen Angriff von einem Anderen abwenden will. Dies wird gemeinhin als Nothilfe bezeichnet.

Notwehrexzess

In § 33 StGB wird eine Regelung für den Fall getroffen, dass die Grenzen der Notwehr überschritten werden. Geschieht dies aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken ist der Täter wiederum nicht strafbar. Im Gegensatz zur Notwehr als Rechtfertigungsgrund handelt es sich beim Notwehrexzess um einen Entschuldigungsgrund.

 

Zu unterscheiden sind in erster Linie der intensive und der extensive Notwehrexzess. 

 

Der intensive Notwehrexzess setzt immer voraus, dass tatsächlich eine Notwehrlage, also wie oben beschrieben ein gegenwärtiger und rechtswidriger Angriff vorliegt. Überschreitet man in dieser Situation die Grenzen der Notwehr, indem man z.B. mehr tut als zur Abwendung des Angriffs notwendig war, kann gleichwohl eine Strafbarkeit des Angegriffenen entfallen, wenn die Überschreitung auf einen Affekt zurückzuführen ist. Hierfür reicht "einfache" Verwirrung, Furcht oder Schrecken aus. Todesangst ist nicht notwendig (BGH, Beschluss vom 21. Juni 2006 – 2 StR 109/06 –, zitiert nach juris).

 

Ob § 33 StGB auch dann anwendbar ist, wenn ein Angriff noch nicht oder nicht mehr gegenwärtig ist (extensiver Notwehrexzess), ist in der Lehre und der Rechtsprechung umstritten. Einerseits wird vertreten, dass immer auch eine Notwehrlage bestehen müsse und § 33 StGB auch nur dann anwendbar sei (so z.B. das Reichsgericht in: RGSt, Bd. 69, S. 216). Diese Ansicht wird jedoch dem Wesen des § 33 StGB nicht gerecht. Die Regelung will den Täter schützen, der angesichts der Ausnahmesituation "Angriff" das Maß des Erforderlichen überschreitet. Warum dies in zeitlicher Hinsicht nicht gelten soll, vermag ich nicht nachzuvollziehen. Ein Angegriffener, der zumindest unmittelbar nach einem Angriff noch Abwehrhandlungen vornimmt, handelt unter dem Eindruck des Angriffs und wird regelmäßig noch von seinem Affekt bestimmt. Das Risiko hierfür hat der Angreifer zu tragen, da er durch seinen Angriff erst die Ursache für den Affekt und die Notwehrüberschreitung setzt. Im Ergebnis muss also § 33 StGB auch für einen nachzeitigen extensiven Notwehrexzess gelten (im Ergebnis zustimmend: Joecks, aaO, § 33, Rn. 3).

 

Nimmt der Angegriffene nur irrtümlich an, dass er angegriffen wird und überschreitet dabei die Grenzen des zu Rechtfertigenden (sogenannter Putativnotwehrexzess) kommt nach meiner Auffassung allenfalls eine analoge Anwendung des § 33 StGB in Frage (so übrigens auch Roxin in: Strafrecht Allgemeiner Teil, § 22, Rn. 96).

(Straf-)Verteidigung bei Notwehr

Notwehr und Nothilfe kommen in der Praxis regelmäßig vor. Bei der Frage ob die Tat durch Notwehr oder Nothilfe gerechtfertigt ist, kommt es jedoch fast immer auf Details an. Details, die der Laie nicht kennt und auch nicht kennen kann. Erst wenn der Akteninhalt, also die Ermittlungsergebnisse bekannt sind, kann eine eigene Einlassung mit dem Rechtsanwalt abgewogen werden. Nur so ist gewährleistet, dass man sich nicht unnötig selbst belasten oder von einer Notwehr "wegargumentiert".

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