Das wird man doch noch prüfen dürfen - Was die AfD Mecklenburg-Vorpommern im Strafrecht will

Am 4. September 2016 wird in Mecklenburg-Vorpommern der Landtag gewählt. Auch die AfD tritt an. Unter den Kandidaten finden sich u.a. mehrere Rechtsanwälte, ein Richter am Amtsgericht Greifswald und ein Professor der Rechtswissenschaften an der Universität Greifswald.

 

Somit war es für mich als Strafverteidiger interessant, herauszufinden, was die besagte Partei in meinem Tätigkeitsbereich, dem Strafrecht plant.

 

Als Quelle dient mir das, auf der offiziellen Seite der AfD veröffentlichte "Programm zu Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern 2016", welches hier abrufbar ist.

 

Dort heißt es auf Seite 9:

 

"Angriffe auf Polizisten sind nicht hinnehmbar. Sie stellen einen Angriff auf den Staat dar. Wir werden uns für die Einführung eines entsprechenden Tatbestandes in das Strafgesetzbuch einsetzen."

 

Zunächst einmal sind Angriffe auf niemanden hinnehmbar, was eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Des Weiteren stellt sich die Frage, ob Polizisten nach derzeitgem Recht bei Angriffen schutzlos gestellt werden.

 

Um es kurz zu machen. Dem ist nicht so.

 

Wie bei jedem Angriff, der zu einer Körperverletzung oder einer Gesundheitsschädigung führt, handelt es sich auch wenn es sich bei dem Angegriffenen um einen Polizisten handelt, um eine Körperverletzung im Sinne des § 223 StGB. Diese kann mit bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe bestraft werden. Setzt der Täter z.B. eine Waffe oder einen gefährlichen Gegenstand ein oder begeht die Tat z.B. zusammen mit anderen Personen, liegt regelmäßig eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 StGB vor, welche mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft wird. Auch dies gilt uneingeschränkt bei Angriffen auf Polizisten. Ebenso sind die Ehrverletzungsdelikte wie Beleidigung oder Verleumdung unproblematisch auf Angriffe auf Polizisten anwendbar.

 

Hinzu kommt, dass Polizisten durch den § 113 StGB bei der Ausübung ihrer Tätigkeit, namentlich bei der Vornahme einer Diensthandlung besonders geschützt sind. Voraussetzung für eine Strafbarkeit nach dieser Vorschrift ist es nämlich nicht, dass es zu Verletzungen bei den Polizisten kommt. Ausreichend ist z.B. ein Herauswinden aus dem Griff des Polizisten (AG Güstrow, Urteil vom 12.01.2016, 921 Ds 102/15) oder ein Stemmen gegen Boden oder Hindernisse um z.B. sein Wegtragen zu verhindern (Fischer, StGB, § 113, Rn. 24). Eine Tat nach der zitierten Norm wird mit bis zu 3 Jahren Freiheitstrafe bestraft.

 

Im Ergebnis erschließt sich diese Forderung also nicht.

 

Auf Seite 10 des Wahlprogrammes heißt es:

 

"Wir fordern Staatsanwaltschaften und Gerichte auf, die Abschreckung vor weiteren Taten wieder in den Mittelpunkt ihrer Entscheidungen zu rücken. Gerade Wiederholungstäter müssen die Konsequenzen ihres Handelns bei der Strafbemessung deutlich spüren. Dem Opferschutz ist ein höherer Stellenwert beizumessen."

 

Zwei Absätze weiter heißt es:

"Wir wollen die Einflussnahme der Parteien auf die Ernennung von Richtern und Staatsanwälten beenden. Auch darf die Staatsanwaltschaft weder weisungsgebunden noch dem Justizminister im Einzelfall berichtspflichtig sein. Die Unabhängigkeit der dritten Gewalt muss durch die Schaffung einer selbstverwalteten Justiz ausgebaut werden, die es schon in vielen europäischen Ländern gibt. Wir unterstützen dafür den Modellvorschlag des Deutschen Richterbundes."

 

Hierzu ist zweierlei anzumerken.

 

Zum einen sind die beiden eng zusammenstehenden Äußerungen widersprüchlich. Einerseits soll die Unabhängigkeit der Justiz als dritte Gewalt gestärkt werden und "die Einflussnahme der Parteien" beendet werden und andererseits fordert eben eine Solche Staatsanwaltschaften und Gerichte -also die Justiz- auf, "die Abschreckung vor weiteren Taten in den Mittelpunkt ihrer Entscheidungen zu rücken". Es entsteht somit der Eindruck, dass Einflussnahme schon sinnvoll und gerechtfertigt ist, wenn sie denn den Zielen der AfD dient.

 

Zum anderen ist der Ansatz (potentielle) Täter von der Begehung (weiterer) Straftaten durch härtere Strafen abzuhalten oder durch immense Strafandrohungen abzuschrecken nach wissenschaftlichen Erkenntnissen sinnlos. Er führt weder zu Reduzierung der Anzahl der begangenen Straftaten noch hat er Auswirkungen auf die Intensität / Schwere der begegangenen Taten. Wie bereits von Liszt (Die Kriminalität der Jugendlichen in: Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge, Band 2, Berlin 1905, 331-355; dort S. 338) vor über 100 Jahren feststellte, wächst der "Hang zum Verbrechen“ .. „mit jeder neuen Verurteilung" und "je härter die Vorstrafe nach Art und Maß gewesen ist, desto rascher" erfolgt "der Rückfall".

 

Dies lässt sich auch heute noch anhand von Statistiken belegen. Eine kurze Abhandlung mit weiteren -auch internationalen Nachweisen und Bezüge- findet sich z.B. bei Spiess (What works - Zum Stand der internationalen kriminologischen Wirkungsforschung zu Strafe und Behandlung im Strafvollzug in: Neue Ansätze der Straffälligenhilfe auf dem Prüfstand, Freiburg (Lambertus) 2004, S. 12 - 50, hier abrufbar, dort Seite 5ff.).

 

Die Gründe dafür sind vielfältig. So führt eine Strafe regelmäßig zur Stigmatisierung des Betroffenen. Eine Solche führt regelmäßig zur gesellschaftlichen und ggf. auch familiären Ausgrenzung. Im schlimmsten Fall wird der Betroffene also ausschließlich oder zumindest überwiegend mit ebenfalls Stigmatisierten (Straftätern) Umgang pflegen und wozu dies führt muss man auch dem Laien nicht erklären. Des Weiteren haben derartige Strafen auch einen negativen Einfluss auf berufliche Perspektiven und damit nicht zuletzt auch einen fiskalisch negatischen Effekt. Wird jemand beispielsweise inhaftiert oder wird gegen einen Jugendlichen Dauerarrest verhängt, verliert er im Regelfall den Arbeits- oder Ausbildungsplatz. Nach der Haft hat der Betroffene es als Straftäter deutlich schwerer wieder einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz zu finden. Demnach wird er wahrscheinlicher auf Sozialleistungen angewiesen sein, was wiederum zu erhöhten Ausgaben führt. Im Übrigen dürfte einleuchten, dass eine Person, die keiner regelmäßigen Beschäftigung nachgeht und generell schlechtere Perspektiven hat, eher geneigt ist, (weitere) Straftaten zu begehen. Auch zu diesen Umständen existieren seit Jahrzehnten dies belegende Studien.

 

Legt man diese Erkenntnisse zugrunde, ist auch ersichtlich, dass schwerere Strafen eher zu mehr Straftaten führen, als dass sie durch Abschreckung die Sicherheit erhöhen.

 

Ebenfalls auf Seite 10 des Wahlprogrammes heißt es:

 

"Das Heranwachsenden-Strafrecht soll abgeschafft werden. Während Bürger mit 18 Jahren wählen dürfen, werden Täter bis zum Alter von 21 Jahren oft nach dem milderen Jugendstrafrecht belangt. Wir fordern, dass jeder volljährige Straftäter nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt wird."

 

Richtig ist, dass es ein Heranwachsenden-Strafrecht gibt. So ist in § 105 JGG geregelt, dass ein Gericht auf bei einem Heranwachsenden Jugendstrafrecht anwenden kann, wenn

  1. "die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder
  2. es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt."

Wer Heranwachsender ist, definiert § 1 Abs. 2 JGG. Danach ist Heranwachsender wer zum Zeitpunkt der Tat bereits 18, aber noch nicht 21 Jahre alt war.

 

Somit stellt sich zunächst die Frage, ob das Jugenstrafrecht "milder" als das Erwachsenenstrafrecht ist. Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, was man unter "mild" versteht. Betrachtet man die höchstmöglichen Sanktionen so sieht das Erwachsenenstrafrecht die lebenslange Freiheitsstrafe vor, während das Jugendstrafrecht in § 18 Abs. 1 JGG die Höchstgrenze bei 10 Jahren Jugendstrafe festlegt. Allerdings gilt für Heranwachsende die Regelung des § 105 Abs. 3 JGG, so dass bei Mord bis zu 15 Jahre Jugendstrafe möglich sind. Dementsprechend könnte man bei dieser -oberflächlichen- Betrachtung zu dem Ergebnis kommen, dass das Jugendstrafrecht milder ist.

 

Allerdings sollte man sich auch die möglichen Sanktionen ansehen. Das Erwachsenenstrafrecht kennt die Geld- und Freiheitsstrafen sowie als Nebenstrafen Fahrverbot und Entzug der Fahrerlaubnis. Das Jugendstrafrecht ist vielfältiger. Neben der Jugendstrafe, können Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel ausgeurteilt werden. Auch die Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt sowie die Anordnung der Sicherungsverwahrung und die Entziehung der Fahrerlaubnis ist über § 7 JGG  auch für Jugendliche und Heranwachsende möglich. Hinzukommt, dass diese Sanktionen im Jugendstrafrecht auch nebeneinander angeordnet werden können (§ 8 Abs. 1 JGG). Auch schaut man sich die einzelnen Sanktionen und die mit ihnen verbundenen Eingriffe in die (Grund-)Rechte der Betroffenen an, sind regelmäßig schwerwiegender als im Erwachsenenstrafrecht. So können bereits auf der niedrigsten Sanktionenstufe -den Erziehungsmaßregeln- Aufenthalts- und Wohnortweisungen, Arbeitsleistungen und weitere Weisungen auch nebeneinander bzw. gleichzeitig angeordnet werden. Die Laufzeit kann bis zu 2 Jahre betragen und nachträglich verlängert werden (§ 11 JGG). Ein Umstand der im Erwachsenenstrafrecht undenkbar wäre. Man stelle sich vor, eine Person wird zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und sitzt seine Strafe ab. Bereits während der Haft entscheidet ein Richter, dass die Strafe "noch nicht reiche" und verlängert die Strafe um 6 Monate ohne dass der Betroffene eine neue Straftat begangen hätte.

 

Aus Alledem sollte ersichtlich sein, dass die pauschale Behauptung, das Jugendstrafrecht sei milder als das Erwachsenenstrafrecht, nicht zutrifft und differenziert werden muss.

 

Im Übrigen ist, die Unterscheidung zwischen "mild" und "hart" nicht sachdienlich. Das Gesetz stellt ganz bewusst auf den Entwicklungsstand und die Tat ab. Eine Person zwischen 18 und 21 Jahren befindet sich regelmäßig in einem Übergangsstadium zwischen Jugendlichem und Erwachsenem. Mit 18 oder 19 Jahren leben viele Heranwachsende noch im Elternhaus und befinden sich in ihrer schulischen Ausbildung. Sie haben im Regelfall kein eigenes Einkommen und müssen oft auch noch kaum Verantwortung für Dritte übernehmen. Sie stehen demnach einem Jugendlichen näher als einem Erwachsenen. Deshalb ist es klug und richtig Jugenstrafrecht anzuwenden, da dieses am Erziehungsgedanken ausgerichtet ist. Und bei noch "unreifen" Heranwachsender kann auf diesem Weg stärker und besser Einfluss genommen werden als über reine Repression. Ziel muss es sein, weitere Straftaten des Heranwachsenden bestmöglich zu verhindern und "Härte" ist -wie oben gezeigt- nachgewiesenermaßen nicht der richtige Weg.

Das Fazit dieses Beitrags ist (leider), dass die AfD Mecklenburg-Vorpommern es zumindest in puncto Strafrechtspolitik mit Forschungsergebnissen und der bereits bestehenden Rechtslage nicht ganz so genau nimmt. Wie auch auf anderen Gebieten (für den Klimawandel hat Prof. Leesch bereits einen Beitrag produziert, welcher hier abrufbar ist), kann das Programm als populistisch bezeichnet werden. Dies ist insbesondere deshalb ärgerlich, weil unabhängig von einer politischen Gesinnung, die vorgeschlagenen Maßnahmen nicht zu einer Erhöhung der Sicherheit führen können oder bereits existieren. Damit könnte man eine (versuchte) Täuschung (potentieller) Wähler unterstellen.

 

Soweit es meine Zeit zulässt, werde ich auch die Programme anderer Parteien auf "strafrechtlich Relevantes" prüfen, aber das Alphabet beginnt nunmal mit "A".

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