Grundsätze und Ausnahmen von der Schweigepflicht - Warum der Innenminister Unrecht hat

Angesichts der angeblich überbordenden Gefahren sieht sich insbesondere der Bundesinnenminister genötigt, mit sogenannten Maßnahme-Paketen, das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung zu steigern. Zu diesen -geplanten- Maßnahmen gehören viele, hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Zulässigkeit fragwürdige Neuerungen, wie z.B. die "Aufweichung" der ärztlichen Schweigepflicht.

 

Wie die Tagesschau berichtete, soll Ärzten und z.B. Psychotherapeuten ermöglicht werden, Behörden über geplante Straftaten ihrer Patienten zu informieren. Dieser Plan ist in seiner Sinnlosigkeit kaum zu überbieten.

 

Zunächst jedoch zum rechtlichen Hintergrund.

 

Nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB macht sich ein Arzt oder Psychologe* strafbar, wenn er unbefugt ein fremdes Geheimnis, welches ihm in seiner Eigenschaft als Arzt oder Psychologe anvertraut wurde oder bekannt geworden ist, offenbart. Soweit man Streitigkeiten um den Begriff des Geheimnisses außer Acht lässt, ist die Regelung sehr eindeutig. Erfährt ein Arzt z.B. während eine Therapie etwas, darf er diese Information nicht weitergeben.

 

Doch es gibt Ausnahmen.

 

Die bekannteste und häufigste Ausnahme ist das Vorliegen einer Erklärung zur Entbindung von der Schweigepflicht. Eine solche Erklärung stellt der Patient unter Benennung seines Arztes aus, um z.B. seinem Rechtsanwalt oder einer Versicherung zu ermöglichen, Informationen von diesem Arzt zu erhalten.

 

Die hier relevante Ausnahme betrifft jedoch den Fall der vom Patienten nicht gewünschten Weitergabe von Informationen, wie z.B. über von ihm begangene oder geplante Straftaten.

 

Doch ist der Arzt in diesen Fällen wirklich "zum Schweigen verdammt" ?

 

Nein, anders als der Innenminister meint, ist es in vielen Fällen möglich mit der Schweigepflicht zu brechen ohne sich strafbar zu machen.

 

So nimmt beispielsweise das Kammergericht Berlin (KG, Urteil vom 27. Juni 2013 – 20 U 19/12 –,  zitiert nach juris, dort Rn. 55 bis 57) an, dass ein Arzt welcher Informationen zu den Verletzungen eines Kindes an Jugendamt und Landeskriminalamt weitergibt -weil er den Verdacht einer (schweren) Kindesmisshandlung hegt- wegen eines rechtfertigenden Notstands nach § 34 StGB nicht strafbar ist. Dabei vertrat das Gericht auch die Ansicht, dass keine besonderen Anforderungen an den Grad des Verdachts zu stellen sind. Dieser müsse lediglich "ernstzunehmend" sein (KG, aaO, Rn. 57).

 

Im Hinblick auf geplante Straftaten kann es sogar sein, dass ein Arzt oder Psychotherapeut sich strafbar machen würde, wenn die Behörden nicht über die Pläne seines Patienten informiert.

 

Dies ergibt sich aus den Regelungen der §§ 138 und 139 StGB. Der § 138 StGB stellt die Nichtanzeige geplanter Straftaten unter Strafe. Zwar unterfallen dem Katalog dieser Regelung nicht alle Straftaten, aber doch und insbesondere schwere Straftaten wie Hochverrat, Landesverrat, Geldfälschung, Mord, Totschlag, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Raub, räuberische Erpressung und z.B. auch die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat nach § 89a StGB.

 

Ausnahmen von dieser Anzeigepflicht kennt der § 138 StGB nicht. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass auch ein zur Verschwiegenheit Verpflichteter (Arzt, Psychologe) zur Anzeige derartiger Straftaten verpflichtet ist. Die Schweigepflicht nach § 203 StGB stellt keinen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund für das Unterlassen der Anzeige bei den, in § 138 StGB aufgezählten Straftaten dar (so auch: Fischer, StGB, 61. Auflage, § 138, Rn. 34).

 

Einzig aus der Regelung des § 139 StGB können sich Ausnahmen von der Anzeigepflicht ergeben. Nach § 139 Abs. 3  StGB -der über die Verweisung des § 139 Abs. 3 Satz 2 StGB auch für Ärzte und Psychologen gilt- ist straffrei, wer eine Anzeige unterlässt, wenn er sich ernsthaft darum bemüht hat, den (potentiellen) Täter von der Tat abzuhalten oder den Erfolg abzuwenden.

 

Für Mord, Totschlag, Völkermord, erpresserischen Menschenraub, Geiselnahmen sowie Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr oder Angriffe durch eine terroristische Vereinigung gilt diese Ausnahme jedoch nicht. Diese Taten müssen auch bei bestehender Schweigepflicht und trotz eines ernsthaften Bemühens, den Täter von der Tat abzubringen, angezeigt werden.

 

Nach Alledem dürfte auch dem juristischen Laien ersichtlich sein, dass es weiterer Ausnahmen von der (ärztlichen) Schweigepflicht nicht bedarf. Die Taten, die der Innenminister (besser) verhindern möchte, werden schon jetzt nicht von der ärztlichen Schweigepflicht erfasst. Vielmehr drohen Personen, die derartige Taten nicht anzeigen Freiheitsstrafen bis zu 5 Jahren.

 

Außerdem dürften weitere Ausnahmen von der Schweigepflicht oder gar die Pflicht jede -wie auch immer geartete- Äußerung im Hinblick auf Straftaten zu melden, das Problem auch deshalb nicht lösen können, weil es ureigenste Aufgabe der Psychologen und entsprechender Ärzte ist, einzuschätzen ob ein Patient nur über Gewalt und/oder Straftaten fantasiert, oder ob er sie tatsächlich plant. Ein Eingriff in diese Einschätzungsprerogative gut ausgebildeter und staatlich kontrollierter Fachkräfte ist kontraproduktiv. Er würde dazu führen, dass aus Praxen Meldebüros würden und sich in der Folge kein Patient seinem Arzt oder Therapeuten mehr öffnen würde.  

 

Die wirklich Hilfebedürftigen werden sich aus Angst vor Verfolgung verstecken und keine Hilfe suchen. Eine solche Entwicklung kann sich niemand wünschen.

 

*Der § 203 StGB sieht Schweigepflichten nicht nur für Ärzte und Psychologen vor, sondern u.a. auch für den Rechtsanwalt, Patentanwalt, Notar, Verteidiger in einem gesetzlich geordneten Verfahren, Wirtschaftsprüfer, vereidigtem Buchprüfer, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Ehe-, Familien-, Erziehungs- oder Jugendberater, Berater für Suchtfragen in einer Beratungsstelle, Zahnarzt, Tierarzt, Apotheker oder Angehörigen eines anderen Heilberufs.

 

Da es ja bei dem Vorschlag des Bundesinnenministers jedoch um die Einschränkung der ärztlichen Schweigepflicht geht, habe ich mich auf diese Berufsgruppen beschränkt.

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Kommentare: 4
  • #1

    Henry L. (Freitag, 18 Juni 2021 08:59)

    Sehr geehrter Herr Lanz,

    obgleich ich a) als Soz.-Päd. tätig bin und b) Ihr Artikel schon 5 Jahre alt ist, hat der Inhalt an Aktualität nichts verloren und ich bedanke mich dafür.

    Mit freundlichen Grüßen
    Henry Loos

  • #2

    Angelika Beck (Dienstag, 03 August 2021 16:33)

    Wie verhält es sich denn, wenn ich als Heilpraktikerin für Psychotherapie und admin in einer facebook-Gruppe Kenntnis über eine geplante Straftat hätte? Immer wieder berichten da Frauen, dass sie von ihren Ex-Partnern bedroht werden. Muss ich das melden und wie verhält es sich, wenn der Ex-Partner das Kind bedroht, die Mutter es aber dennoch zu ihm gehen lässt? Dankeschön

  • #3

    Marie M. (Donnerstag, 22 September 2022 08:40)

    Sehr geehrter Herr Lanz,

    ich bedanke mich für diesen Artikel, der sehr aufschlussreich ist.

    Eine Frage hätte ich: wie verhält es sich mit der Schweigepflicht des Therapeuten in einer Klinik bei dem Fall, dass ein Mitarbeiter der Klinik privaten Kontakt zu einem Patienten hergestellt hat und diesen in seiner instabilen Situation ausgenutzt hat? Kann der Patient mit dem Therapeuten hier drüber offen sprechen ohne zu befürchten, dass dies weitergegeben wird?

    Vielen Dank.

    Mit freundlichen Grüßen
    Marie M.

  • #4

    Sigrid Huebner (Montag, 10 Oktober 2022 21:05)

    Sehr geehrte Damen und Herren,
    Meine Aerztin hat nach einem vertraulichen Gespräch einen sozialen Hilfeverein angerufen wirklich das ganze Gespräch wiederholt meine Telefonnummer angegeben und noch erwähnt dass ich weniger als Hartz 4 verdiene. Ich habe zwischendurch das Gespräch beenden wollen, aber ich wurde vollkommen negativiert. Am naechsten Tag rief der Hilfeverein mich an. Ich habe dafür Zeugen.
    Was muss ich tun?